Die Fondation Cartier erfindet sich architektonisch neu

Die Fondation Cartier pour l’art contemporain hat ihr neues Zuhause gefunden. Nach drei Jahrzehnten an der Boulevard Raspail zieht die von Jean Nouvel entworfene Institution ins Herz von Paris: an den Place du Palais-Royal, gegenüber dem Louvre.

Wo einst das Grand Hôtel du Louvre (1855–1887) und später die Grands Magasins du Louvre (1887–1974) residierten, hat Nouvel die Geschichte Schicht für Schicht freigelegt. Aus der massiven haussmann’schen Struktur ist ein flexibles, atmendes Gebäude entstanden. Als Jean Nouvel das Gebäude 2013 gemeinsam mit Yvan Ansermoz, dem Direktor für Architektur und Bauwesen bei Cartier, erstmals besichtigte, stand sein Entschluss fest: „Alles muss entfernt werden, alles, was wir können, außer den wesentlichen Lastträgern. Es muss möglich sein, dass der Blick durch einen ungehinderten Raum schweifen kann. Wir müssen die gegenüberliegende Straße lesen können.“

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Zwischen Innen und Außen: Tageslicht wird hier zur vierten Wand der Ausstellung. Foto: Martin Argyroglo.

Und so kam es. Beinahe nur die Außenmauern blieben bei der Entkernung stehen. Einzig die Fassade und das Innere des Innenhofs des Palais-Royal sowie die Fassade zum Place du Palais-Royal und die Arkaden sind in ihrer historischen Integrität erhalten geblieben.

Heute formen fünf große Plattformen, hydraulisch auf elf verschiedene Höhen beweglich, eine Architektur in ständiger Verwandlung. Räume öffnen sich, verschieben sich, verändern ihre Dimension. Die Fondation wird zu einem lebendigen Organismus, der im Rhythmus der Kunst pulsiert. Über den Plattformen spannt sich ein System aus gläsernen Decken, unter denen bewegliche Lamellen wie mechanische Vorhänge verlaufen. Sie können das Tageslicht filtern oder vollständig abschirmen und verwandeln die Decke in ein steuerbares architektonisches Instrument.

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Die motorische Decke des frisch renovierten Gebäudes im geschlossenen Zustand.
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Die motorische Decke des frisch renovierten Gebäudes in Bewegung. Foto: Martin Argyroglo.

Nouvel greift hier seine zentrale Idee der Transparenz neu auf. Entlang der Rue de Rivoli öffnen sich bodentiefe Glasfassaden, die den Blick zugleich nach innen und nach außen lenken. Der Stadtraum und das Innere des Hauses treten in einen kontinuierlichen Dialog. Die Fondation wird zu einer Bühne, Paris zum Publikum.

Diese Offenheit spiegelt auch die Haltung der Fondation Cartier wider. Seit ihrer Gründung steht sie für einen offenen Austausch zwischen Kunst, Wissenschaft, Philosophie und Architektur. Das neue Gebäude übersetzt diese Haltung in einen greifbaren Raum: wandelbar, fließend, experimentell.

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Das Studio Marie-Claude Beaud – ein tiefrotes Auditorium zwischen Theater, Kino und Cabaret. Es ehrt die erste Direktorin der Fondation Cartier und feiert den Dialog von Kunst und Performance. Foto: Martin Argyroglo.

Eröffnet wird das Haus im Oktober mit der Ausstellung Exposition Générale, einer Hommage an die Geschichte des Ortes. Der Titel erinnert an die großen Weltausstellungen des 19. Jahrhunderts, als Fortschritt, Handwerk und Kunst noch eng verbunden waren. Die Fondation diesen Gedanken weiter. Rund 600 Werke von über 100 Künstlerinnen und Künstlern, darunter James Turrell, Damien Hirst, Patti Smith und Sarah Sze, bieten eine Bandbreite aus vier Jahrzehnten zeitgenössischer Kunst.

Alessandro Mendini Petite Cathedrale 2002 Copyright photographe © Ambroise Tezenas Artiste © Alessandro Mendini Rights until October 1st 2026
Alessandro Mendini, Petite Cathédrale, 2002. Holz, Metall, Glasmosaik, Glas, Parfum und Klang vereinen sich zu einer poetischen Miniaturarchitektur. Das Werk aus der Sammlung der Fondation Cartier war 2012 in der Ausstellung Histoires de voir in Paris zu sehen. © Alessandro Mendini, Foto © Ambroise Tézenas.
Luiz Zerbini Natureza Espiritual da Realidade 2012 Copyright photographe © Thibaut Voisin Artiste © Luiz Zerbini Rights until October 1st 2026
Luiz Zerbini, Natureza Espiritual da Realidade, 2012. In leuchtenden Farben erforscht der brasilianische Künstler die spirituelle Dimension der Natur. Gezeigt in der Ausstellung Trees in der Fondation Cartier pour l’art contemporain, Paris, 2019. © Luiz Zerbini, Foto © Thibaut Voisin.

Die Kuratorinnen Béatrice Grenier und Grazia Quaroni gliedern die Ausstellung in vier thematische Kapitel: Machines d’architecture untersucht Architektur als Werkzeug der Utopie, Être nature reflektiert das Verhältnis von Mensch und Umwelt, Making Things widmet sich der Rückkehr des Handwerks, und Un monde réel verknüpft Wissenschaft und Imagination.

Mit 8.500 Quadratmetern Gesamtfläche, darunter 6.500 für Ausstellungen, sowie einem Auditorium, einer Buchhandlung und der neuen Manufacture für Kunstvermittlung definiert die Fondation Cartier ihre Rolle neu.

fondationcartier.com
jeannouvel.com