Gatorama 2020
Gatorama, 2020, und Staircase at King Tide, aus FLORIDAS. © Anastasia Samoylova.

Anastasia Samoylova: Blick hinter die Kulisse

Alles rosarot? Die gebürtige Russin zeigt mit ihren Fotos von Florida Risse im Paradies. Aber die können äußerst attraktiv sein. 

Das Portfolio

»Klar sind meine Fotos politisch. Sie sind Metaphern für den Zustand der Welt.«

Das Interview

Anastasia Samoylova wurde 1984 in Moskau geboren. 2008 ging sie nach Amerika, seit 2016 lebt sie in Miami. Ihre Arbeiten sind sowohl pointierte Beobachtungen der Realität und Umwelt als auch Studiowerke, in denen sie collagierte Kompositionen entwirft.

Anastasia Samoylova by Rose Marie Cromwell 1
Anastasia Samoylova

Anastasia …

Sag Ana, das ist einfacher.

Also gut: Ana, du bist gebürtige Russin, geboren und aufgewachsen in Moskau. Warum und wie hat es dich in die USA verschlagen? 

Als ich in Moskau mit meinem Architekturstudium fertig war, wollte ich nachhaltige Architektur erschaffen. Ich hatte große Ideen, aber keine guten Chancen auf Jobs. Und damit auch nicht für meine geplanten Projekte. 

Also hast du gedacht, dann gehe ich eben ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten.

Ganz so naiv war ich nicht. Aber es gab dort für mich die Möglichkeit, an Fortbildungsprogrammen und Workshops zum Thema Fotografie teilzunehmen. Und ich hatte schon ein ganz ordentliches Portfolio von Fotos zu meinen Ideen. Meine erste Station war im Mittleren Westen, halbwegs in der Nähe zu Chicago. Aber sonst ziemlich weit ab vom Schuss.

Und warum dann Miami?

Es gab dort ein »Artist in Residence«-Programm, ich bekam umsonst mein eigenes Studio in Miami Beach. 

Noch mal eine ordentliche Entfernung.

Das schon. Aber für mich besonders reizvoll. Es war schon immer mein Traum, am Meer zu leben. Schon und gerade damals in meiner Jugend in Moskau.

Der ist in Erfüllung gegangen?

In gewisser Weise ja. Aber du musst deinen Traum teurer bezahlen, als du dir vorstellen kannst. 

Wegen der Lebenshaltungskosten und Mieten in Miami?

Das auch. Aber ich meine es mehr im übertragenen Sinne. Florida ist schon in vielerlei Hinsicht sehr speziell.

Zum Beispiel in welcher?

Ich kam 2016 hierher. In dem Jahr fegten äußerst gewaltige Hurrikans übers Land. Eine klimatische Katastrophe für die Menschen. Auch wenn sie die Stürme mehr oder weniger gewohnt sind. Aber ich hatte keine Ahnung, wie man sich auf einen Wirbelsturm vorbereitet. Dass man sein Auto in Sicherheit bringen muss. Dass das Haus befestigt werden muss und man vielleicht frühzeitig die Gegend verlässt. Bei solch einem Sturm wird dir schlagartig bewusst, wie klein und hilflos du bist. Und obwohl Hurrikans hier schon immer vorgekommen sind, scheinen sie heute häufiger und heftiger aufzutreten. Ein Zeichen der Klimaveränderung möglicherweise. Ein unheilvoller Vorbote.

Und das hat dich zu deinen Fotoserien inspiriert?

Ich habe tatsächlich die Kamera genommen und damit in gewisser Weise davon berichtet, was ich gesehen habe. Wie alles auseinandergebrochen ist, zerstört, überflutet.

Das war also so etwas wie eine spontane Idee?

Ich bin nicht einfach so losgestiefelt und durch die Straßen gestreift. Es beginnt immer mit einer Menge Recherche. Was will ich zeigen? Was haben andere schon gezeigt? Wo will ich fotografieren? Was veranschaulicht das Thema am besten? Es geht mir in meiner Arbeit um besondere Orte. Die Beziehung der Menschen zu den Orten und wie sie unsere Kultur reflektieren und repräsentieren. 

Du hast Überflutungen, Zerstörungen und Brände dokumentiert, in berührenden und sehr ästhetischen Bildern. Warum dieser Widerspruch?

Es hat mit den extremen Ungereimtheiten dieses Landes zu tun. Mit den USA, aber im Speziellen vielleicht mit Florida. Hier gibt es eine besonders große Differenz zwischen der Präsentation und der Realität. Meine Arbeit ist im Grunde eine Metapher.

Es wird den Menschen etwas vorgegaukelt? Deshalb auch deine Bilder, die Werbeplakate und wahres Leben vermischen?

Das ist ein wichtiger Aspekt. Die Werbeplakate zeigen dir überall und überdimensional die schöne Welt, ein Leben in Luxus. Aber sie hängen nur für kurze Zeit, danach siehst du wieder das wahre Leben. Und im Sturm geht es noch schneller. Du musst gerade hier immer hinter die Kulissen blicken. Klar, in Florida hast du viel Sonne, Strand und Meer. Aber es ist bei Weitem nicht alles Gold, was glänzt. Hier wird viel Wert auf die Fassade und den äußeren Schein gelegt.

Sonne, Palmen, schicke rosafarbene Häuser. Deine Fotos haben auch einen hohen Pinkanteil. 

Das kannst du hier ja fast gar nicht vermeiden. Aber weißt du, was es mit dem Pink in Miami auf sich hat? 

Na?

Als Miami Beach gebaut wurde in den 20er- und 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts, waren die Art-déco-Häuser alle weiß. Später verkam der hübsche Ort, kriminelle Banden trieben hier ihr Unwesen und ihre Geschäfte. Miami Beach war ein sehr gefährlicher Ort. Als die Stadt sich entschloss, dies zu ändern, das Verbrechen aus dem Ort zu drängen und Feriengäste anzulocken, kam sie auf die Idee, die Häuser rosa anzumalen. Das ist freundlich, ja, die kitschigste Farbe, aber positiv und harmlos besetzt. Junge Mädchen lieben Rosa. Es war eine reine Marketingmaßnahme der Stadt. Und hat prima funktioniert. Aber es ist auch nur eine neue Fassade.

Wie ist für dich das Leben hier? Vermisst du deine Heimat?

Vor allem schaue ich mit Schrecken dorthin. Es ist furchtbar, was Putin macht. Alle meine Freunde, liberal denkende Menschen, haben das Land verlassen. Es ist eine Tragödie. Es ist beschämend.

Und fühlst du dich hier in Amerika in Sicherheit?

Das ist ja das Verrückte, die Ambivalenz. Jetzt lebe ich in einem wohlhabenden Land, alles scheint geregelt und geordnet zu sein. Aber ich sage dir: Ich habe eigentlich jeden Tag Angst, dass meinem Sohn in der Schule etwas passiert. Du kommst hier ins Gefängnis, wenn du abtreibst, aber du darfst automatische Waffen kaufen und um dich schießen. Sicher fühle ich mich nicht.

Wie du schon sagtest, Florida ist speziell.

Eigentlich ganz Amerika. Aber Florida vielleicht besonders. Florida war immer ein sogenannter Swing State, mal mehr demokratisch, mal mehr republikanisch. Jetzt driftet es mehr und mehr nach rechts. Aber das kommt nicht unbedingt von den Menschen hier. Das kommt von oben: Ron DeSantis, der Gouverneur, und Donald Trump leben hier.

Beide wollen ja für die nächste Präsidentschaft kandidieren …

OMG! Ja. Für mich ist das sehr angsteinflößend. Ich komme ja aus einem Land mit einem autoritären Regime. Wenn ich höre, dass Trump dafür ist, eine Legislaturperiode auf sechs Jahre auszudehnen, läuft es mir kalt den Rücken runter. Ich weiß, was dann passieren kann. Sieht man ja in Russland.

Wenigstens der Traum vom Leben am Ozean hat sich erfüllt.

Das ist wirklich ein Traum. Ich lebe in North Beach, etwas ab vom Trubel, mein Studio ist in der Lincoln Road, mitten in Miami Beach. Das ist sehr schön. Mit dem Rest muss ich wohl leben. Und es in meiner Kunst verarbeiten.