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Ein Bild von Eva Herzigova für das Magazin Stern. Fotografiert von Ellen von Unwerth.
Eva Herzigova, Magazin Stern, 2010.
© Ellen von Unwerth

Ellen von Unwerth: Stories mit Style

Vom Model zur Starfotografin. Die Wahl-Pariserin verlangt von ihren Arbeiten vor allem eines: »Ein Foto muss Emotionen wecken.« 

Das Portfolio

»Ein Foto muss Emotionen wecken.«

Das Interview

Ellen von Unwerth sitzt in einem Stuhl und lächelt in die Kamera
Ellen von Unwerth.
(Foto Credits: Steffen Kugler)

Ellen von Unwerth, würden Sie sagen, dass Ihre Fotos einen ganz besonderen Blick auf die Welt und insbesondere auf die Menschen zeigen?

Jeder hat seinen eigenen Blickwinkel. Aber ich betrachte die Welt immer gerne mit einer Prise Humor und bin auch sehr neugierig auf die Menschen. Ich liebe es, immer wieder neue Leute zu treffen und mit ihnen zu interagieren, und ich suche nach ungewöhnlichen oder künstlerischen Situationen, die ich festhalten kann. 

Wie würden Sie Ihren Stil charakterisieren?

Ich denke, mein Stil und meine Vision haben sich mit der Zeit entwickelt und verändert, aber meine Basis und der Kern meiner Kunst bleiben gleich. Ich mag lebendige Fotos mit einem Hauch von Rock ’n’ Roll, Spontaneität, Fotos, die eine Geschichte erzählen und den Betrachter in ein anderes Universum entführen, sodass er Lust auf mehr bekommt. Ich liebe stark kontrastiertes Schwarz-Weiß und leuchtende Farben. 

Muss ein Bild, ein Foto eine Geschichte erzählen oder reicht es, wenn es einfach nur schön und stilvoll ist?

In meinen Augen muss ein Foto nicht nur schön sein, sondern auch eine Emotion hervorrufen, um in Erinnerung zu bleiben. Wenn ich ein Bild mache, versuche ich nicht, ein Bild zu schaffen, das einfach nur schön und stilvoll ist, sondern ich versuche, damit etwas zu erzählen – damit es wie ein Einblick in ein geheimes Universum aussieht, an dem der Rezipient teil-haben möchte oder das zumindest etwas in ihm hervorruft. 

Sie sagen, Sie haben ein foto-grafisches Auge. Können Sie das näher erläutern?

Es ist der Drang, eine Situation, einen Moment, ein schönes Licht, einen Ausdruck, eine Bewegung einzufangen. Ich würde sagen, wenn ich mir die Welt ansehe, stelle ich mir alles so vor, wie es eine Kamera wahrnehmen würde. Ich fühle mich ständig zu seltsamen, lustigen oder schönen Dingen hingezogen, die andere nicht bemerken. Meine Arbeitsweise ist also eine Mischung aus einem geschulten Auge für Fotografie und der Neigung, die Umwelt und die Menschen dauernd genau zu beobachten. 

Was inspiriert Sie?

Ich lasse mich von vielen verschiedenen Dingen inspirieren. Ich bekomme viele Ideen und Anregungen vom Leben, von Filmen, Menschen, Musik, Partys, Performances, Gemälden und Träumen. Auch von Fotografen wie meinen Favoriten Helmut Newton und Jacques-Henri Lartigue. Ein großer Teil meiner Inspiration kommt von den Designern und den Kleidern, den Modenschauen, die sie machen. Wenn man die Essenz des Universums eines Designers einfangen kann, entsteht eine sehr reiche Geschichte. 

Was ist Ihre Motivation beim Fotografieren?

Mein Antrieb als Künstlerin ist die Tatsache, dass ich immer fotografieren will. Meine Arbeit und mein Leben sind völlig miteinander verwoben. Was ich bin und was ich im Leben suche, steht in Verbindung mit meiner Fotografie. Deshalb bin ich für die Freude und den Humor in meiner Fotografie bekannt. Ich liebe es, zu lachen und lustige Situationen zu kreieren, das Leben ist ein Abenteuer und das ist es, was ich in meinen Aufnahmen wiedergeben möchte, das Unerwartete, die Energie. Ich liebe es auch, alltägliche Dinge festzuhalten: feste, kleine Bumerangs und Videos. Es ist so einfach und spontan und man kann Dinge sofort teilen. Das ist das Tolle an Instagram.

Was wollen Sie mit Ihren Fotos erreichen?

Mir wird oft gesagt, dass meine Bilder voller Leben sind und dass sie Menschen Spaß machen. Ich denke, wenn ich den Betrachtern Freude bereiten kann, indem ich meine Sichtweise – eine weibliche Sichtweise – zum Ausdruck bringe, dann ist mein Erfolg mein Einfluss auf die Gesellschaft. Die Stärkung der Rolle der Frau rückt immer mehr in den Mittelpunkt. Die Leute erkennen, dass meine Arbeit die Gesellschaft beeinflussen kann, indem ich Frauen und ihre Weiblichkeit in ihrer Einzigartigkeit, in ihrer Stärke und Persönlichkeit festhalte.

Sie waren früher mal beim Circus Roncalli beschäftigt. Wie kam es dazu?

Ich war eine junge Frau und lebte in Bayern. Kurz nach meinem Schulabschluss kam der Circus Roncalli in die Stadt. Das fand ich sehr aufregend. Nachdem ich die Vorstellung gesehen hatte, ging ich zum Direktor und fragte, ob ich für ihn arbeiten und auftreten könnte. Er schaute mich von oben bis unten an und sagte: »Du kannst morgen anfangen!« Ich war die Assistentin des Messerwerfers und half auf verschiedene Weise mit. Diese Ära meines Lebens hat mich stark beeinflusst, vor allem in ästhetischer Hinsicht, und ich habe diese Erzählung immer in meine Arbeit einfließen lassen: Glitzer, Glamour, Geheimnis und Sinn für Humor. Sie spielte eine große Rolle in meinem kreativen Prozess, ebenso wie eine kurze Zeit, in der ich als Hippie in einer Gemeinschaft in den bayerischen Bergen lebte.

War die Welt des Zirkus Ihr Kindheitstraum?

Als Kind konnte ich mich nicht ent-scheiden, ob ich eine Prinzessin oder eine Zigeunerin werden wollte. Ich wickelte mich in die leichtesten Stoffe ein und tanzte durch das Haus. Zu meiner großen Enttäuschung sagten die Leute, ich würde einen besseren Clown abgeben. Damals ahnte ich noch nicht, dass das später im Leben tatsächlich realisierbar sein würde.

Sie waren als Model sehr erfolgreich. Wie kam es zu dem Rollentausch und Ihrer Arbeit auf der anderen Seite der Linse?

An meinem ersten Tag an der Uni sagte jemand: »Hey, möchtest du als Model arbeiten?« Und ich habe mich umgedreht und bin nie wieder zur Universität zurückgegangen. Ich habe zehn Jahre lang gemodelt und mein damaliger Freund hat mir beigebracht, wie man Filme entwickelt, er hat mir auch eine Kamera geschenkt. Ich ging nach Kenia als Model für eine Serie des Jill Magazine, dort habe ich meine erste Serie gedreht. Es ging um das Leben auf der Straße, Candids (Anm. d. Red.: spontane Fotos), Frauen und Kinder. Die Zeitschrift war begeistert von den Fotos und gab mir sechs Seiten, so fing alles an. Seitdem habe ich nie wieder aufgehört.

Wie hat Ihre Arbeit als Model Ihre Arbeit als Fotografin beeinflusst?

Meine zehnjährige Zeit als Model hat meine Herangehensweise an die Mode- und Schönheitsfotografie definitiv geprägt. Mir ist aufgefallen, dass die Mode ein ständiges Kommen und Gehen ist, sie wiederholt sich, aber wir betrachten sie auf unterschiedliche Weise. Als Model war ich immer frustriert, weil ich das Gefühl hatte, eher als Kleiderbügel benutzt zu werden. Als Fotografin interessiere ich mich für die Person, die ich fotografiere, für die Geschichte, die ich erzählen möchte.

Die Frauen, die Sie zeigen, sind auffallend erotisch, sexy, feminin, aber gleichzeitig wirken sie stark, selbstbestimmt, selbstgenügsam. Ist dieses Bild von Frauen Ihr Ideal?

Schönheit ist etwas Faszinierendes, sie zieht einen an wie ein Magnet. Sie kann aber auch in Gleichgültigkeit vergehen, während etwas oder jemand mit Charme und Energie emotionaler und eindring-licher sein kann und eine länger anhaltende Wirkung auf uns hat. Es ist großartig, als erfolgreiche Frau in der Öffentlichkeit präsent zu sein. Meiner Meinung nach besteht die gesellschaftliche Verpflichtung der Mode darin, großartige Führungspersönlichkeiten zu haben, die die jüngere Generation dazu inspirieren, kreativ zu sein, verantwortungsbewusst und nachhaltig zu handeln und insgesamt eine Botschaft von Energie, Spaß, Bewegung und Liebe zur Kunst zu vermitteln.

Viele Ihrer Arbeiten sind Auftragsarbeiten. Gelingt es Ihnen, bei solchen Aufträgen Ihrem Stil treu zu bleiben und Ihre künstlerische Freiheit zu bewahren?

Ich war in meiner Karriere immer sehr unabhängig. Das Internet macht es kreativen Menschen wie mir leicht, ihre eigene Arbeit zu teilen und eine Plattform und eine Gemeinschaft zu schaffen, die Künstler direkt mit ihrem Publikum verbindet. Ich nutze die sozialen Medien sehr gern, um meine Arbeit zu präsentieren. 2018 habe ich außerdem mein eigenes Printmagazin Ellen von Unwerth’s VON gegründet. Freiheit ist ein immens wichtiges Gut, das man sich als Künstler bewahren muss. Es ist wichtig, dem treu zu bleiben, was man tun will. Und auch dem eigenen Stil. Trends kommen und gehen. 

Gibt es etwas, das Ihnen Angst macht?

Klone! Ich habe ein wenig Angst vor dem Weg, den Technik und Wissenschaft in dieser Hinsicht einschlagen könnten. Die Einzigartigkeit der Menschen ist unsere größte Stärke.