WALD 0172 2009

Michael Lange: Gefühlte Fotos

Seine elegischen Bilder von der Natur zeugen von der intensiven Suche nach wahrer Stille und emotionaler Erfüllung. Fotos wie eine Therapie.

Das Portfolio

»Manchmal empfinde ich meine Bilder als ein Geschenk. Ich fühle Dankbarkeit.«

Das Interview

Michael Lange, Jahrgang 1953, gebürtiger Heidelberger, ist quasi Nachbar von IDEAT. Seine Studiowohnung im Dachgeschoss eines unauffälligen Neubaus im gentrifizierten Hamburger Stadtteil Ottensen befindet sich nur gut fünf Gehminuten von den Redaktionsräumen entfernt. Was die ideale Gelegenheit für intensive Unterhaltungen über Leben, Leiden und Leidenschaft bietet. Und darüber, wie daraus großartige Fotos entstehen können. Nur die Terminfindung ist nicht ganz einfach …

Interview Bild
Michael Lange

Hallo Michael, schön, dass wir uns nach einigen kurzfristigen Absagen treffen können. War ja nicht ganz leicht, unser Interview zu arrangieren …

Ja, das tut mir leid. Ich musste die letzten Tage unbedingt raus an den Ort, an dem ich zurzeit arbeite. Die Wettervorhersage war gut.

Also, meine Wetter-App hat Nebel, Regen und Sturm angezeigt. 

Genau! Ich vermute, das klingt für die Mehrheit der IDEAT-Leser nicht so sehr verlockend. Aber für mich ist es essenziell! Also für meine Landschaftsfotografie. 

Inwiefern?

Ich suche für meine Arbeiten nach Momenten der Transformation. Wenn ich einen Berg fotografiere, finde ich das bei normalen Bedingungen eher langweilig. Aber mit einem Regenschleier davor, bei aufziehendem Nebel oder Dunst passiert etwas Besonderes mit dem Motiv. Nach einem Schneesturm erscheint der Berg plötzlich wieder, es ist noch Schnee in der Luft. Das sind einmalige, sehr spezielle Momente. Dämmerung ist auch ein wunderbarer Zustand des Übergangs. Manchmal entsteht eine Resonanz zwischen dem Motiv und mir. Etwas schwingt.

Wie bist du auf die Idee gekommen, Landschaften als Motiv zu wählen. Mit solcher Art Fotografie hattest du bis dahin nicht viel zu tun, oder?

Das ist eine lange Geschichte. Die Sehnsucht nach den Fotos, die ich heutzutage mache, ist schon in meiner Jugend begründet.

Vielleicht könntest du dein Leben und deinen Werdegang einmal im Schnelldurchlauf rekapitulieren. 

Ich bin mit 16 von zu Hause ausgezogen, war dann in der Hippieszene von Heidelberg. Der Fotografie bin ich eher zufällig begegnet, es entwickelte sich relativ einfach: Ich bekam erste Jobs für Magazine wie Psychologie Heute und andere Blätter des Beltz Verlags im Heidelberger Raum. Mit 25 bin ich dann wegen Zeitschriften wie dem Stern und Zeit Magazin nach Hamburg gezogen. Ich erhielt Aufträge für den Spiegel, Konkret und andere Blätter. Der Durchbruch waren dann zwei freie Produktionen, die der Stern kaufte. Es folgten Reportagen, Porträts und Features für Geo, Art, Manager Magazin und für US-Magazine. Ich machte große und wochenlange Reportagen für den Stern, unternahm viele weite, aufregende Reisen. Die 1980er-Jahre waren die goldenen Jahre der Magazinfotografie, eine tolle Zeit. Aber mit Ende 30 fühlte ich mich aus-gebrannt, ich wiederholte mich und mir fehlte mehr Inhalt in meiner Arbeit. Es folgte eine Auszeit von eineinhalb Jahren auf Bali, erste Kontakte mit Meditation und Yoga, die mich bis heute begleiten. Danach eine tiefe und lange Krise, meine Ehe zerbrach. Die Magazinfotografie hatte sich durch das Internet drastisch verändert, Honorare und Recherchezeiten wurden massiv gekürzt. Zehn Jahre Corporate-Fotografie, schlagartig beendet durch die Finanzkrise – und dann blieb das Telefon still. Es war klar: Lange halte ich das nicht aus, auch finanziell nicht. Also bin ich raus, statt vor dem Telefon zu sitzen, und habe mich zaghaft an Landschaften gewagt. In der Weite der Natur konnte ich in Ruhe Neues ausprobieren.

Also ab in den Wald?

Der Wald war schon in der Kindheit ein sicherer Raum, bot Schutz vor meiner chaotischen Familie. Den deutschen Wäldern habe ich mich über drei Jahre gewidmet. Ein Buch, erste große und erfolgreiche Galerieausstellungen in Hamburg, Berlin. Der Fluss folgte ganz harmonisch als zweite Serie, wieder drei Jahre fotografieren, wieder ein Buch, weitere Ausstellungen, in Frankreich, den Niederlanden und den USA. Die französischen Alpen waren eher ein harter Brocken, an dem ich mich über sieben Jahre gerieben habe. Aber die Stille und das Alleinsein in der Natur tun mir gut. Ich entwickle neue Ideen und Bilder. Und ich lerne viel über mich.

Wie suchst und findest du deine Motive? Wie entdeckst du die richtigen Orte?

Als ich im Thema Wald eine fotografische Richtung für mich gefunden hatte, habe ich zuerst deutsche Wälder recherchiert: in Schleswig-Holstein, Niedersachsen, der Pfalz, Baden-Württemberg. Das war genauso professionell wie für Geo oder den Stern. Ich hatte Genehmigungen der Landesregierungen, gute Karten und einen kleinen Jeep. Endlose Kilometer bin ich durch die Wälder getrieben und habe nach Besonderheiten gesucht. Dann weiter zu Fuß, Orte eingekreist, innerlich wie auf Karten verortet. So sind dann über die Jahre die Bilder der Wald-Serie entstanden. Daneben habe ich Erfahrungen gesammelt, gelernt, Landschaften zu lesen, das Potenzial zu erkennen. Man entdeckt Orte, da weiß man auf Anhieb um die Chancen. Man ahnt, hier könnte es spannend werden.

Das ist ja kaum abschätzbar. Wie lange kann das dauern?

Oh, lange. Auf Anhieb ist mir fast kein Bild gelungen. Warten ist eine Voraussetzung. Ohne Warten geht nichts – manchmal ist das meditativ, oft unendlich langweilig, man kann keine Musik hören, nicht lesen, nur stille Aufmerksamkeit ist gefordert. Wenn ich einen Ort gefunden habe, der mir vielversprechend erscheint, komme ich so lange zurück, bis etwas passiert. In den Alpen hatte ich ein kleines Tal, in das ich über drei Wochen jeden Morgen in der Dunkelheit gefahren bin und dann dort ausgeharrt habe. An vielen Tagen bin ich ohne eine einzige Aufnahme im letzten Licht nach Hause gefahren.

Du bleibst so lange, bis dein gewünschtes Bild entstanden ist?

Ja, aber ehrlich gesagt habe ich keine konkrete Vorstellung von dem Bild. Jedes Motiv verändert sich permanent. Das ist eher ein Gefühl der Hilflosigkeit. Ich weiß nicht, was passiert oder passieren könnte. Mein einziger Plan ist eine gute Verortung der Landschaft, beinahe topografisch im Kopf. Ich erkunde, was wo ist und wo etwas sein könnte – genauer gesagt, wo etwas entstehen könnte, je nach den Wet-terbedingungen.

Du wartest auf eine Nebelwand, Regen, Schneefall oder einen Schneesturm?

Jedenfalls nicht auf Sonne. Ich neige mehr zu dunklen, stimmungsvollen Bildern. Sitze im Auto und warte und warte. Ich weiß ja nicht mal genau, worauf. Aber wenn es dann plötzlich passiert – wenn Nebel aufsteigt, Wolken tief durchs Tal ziehen, ein Sturmtief alles radikal verändert – dann ist nichts mehr wie vorher. Für mich bedeutet das: totale Anspannung, schlagartig hellwach sein. Der perfekte Moment – und ich weiß vorher nicht, wie dieser aussieht – erlaubt mir manchmal nur zwei, drei Bilder und dann ist er unwiederbringlich vorbei. Das Motiv ist weg. Pures Adrenalin, die Sinne sind scharf, man ist total fokussiert. Das ist anstrengend, aber auch sehr lebendig. Kein sinnliches Erlebnis mehr. Fotografie ist sehr technisch wie auch sehr sinnlich.

Aber dann hast du endlich dein Bild.

Na ja. Das ahne ich manchmal, aber erst am Rechner weiß ich es. Und auch erst dann, wenn ich tief in die Datei geschaut habe. Ein digitales Bild an sich hat gar keine eigene Wertigkeit. Es bietet unendliche Möglichkeiten. Man muss sich für eine Richtung entscheiden, wieder dessen eigentliches Potenzial erkennen. Es folgt ein minutiöses Arbeiten an der Aufnahme. Diese Generierung des Bildes ist für mich der schönste Teil der Arbeit. 

Die Bearbeitung am Rechner?

Ja, klingt weniger romantisch, oder? Es ist eine stille Auseinandersetzung mit dem Bild, ruhige Musik im Hintergrund, alleine am Rechner. Das Bild und ich, die Balance des Bildes finden. Die Kamera liefert nur eine RAW-Datei, anders als im iPhone.

Worauf kommt es dabei an?

Ich steuere das Licht. Es geht um die Ausgewogenheit des Lichts, wie sich das -Auge des Betrachters durch das Bild bewegt. Was ist wichtig, welcher Teil muss unterstützt werden, was muss zurücktreten? Wie fühle ich das Bild, was schwingt mit mir im Bild? Vieles dabei ist unbewusst, deswegen ist Ruhe bei dieser Arbeit elementar. Der Kopf hat dabei nichts zu suchen. Oft arbeite ich mehrere Tage an einem Motiv; ich genieße es, mich in meinen Fotografien zu verlieren.

Wenn es, wie du sagst, so unendlich viele Möglichkeiten der Bearbeitung gibt: Bist du selbst je zufrieden mit dem Ergebnis?

Natürlich! Irgendwann kommt der Punkt, da spüre ich eine tiefe Befriedigung, nach langen Phasen des Zweifels und vieler Ausdrucke. Ich glaube, je mehr ich in Resonanz mit einem Bild bin, desto offener wird der Betrachter das Bild wahrnehmen können. Ab und zu gibt es Bilder, die empfinde ich als ein Geschenk. Ich fühle eher Dankbarkeit als Stolz.