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Endangered: Sea Angels (2017).

Tim Flach: Tierische Charakterköpfe

Der Londoner ist Porträtfotograf. Seine Klienten allerdings haben Fell und Federn, vier Beine, Krallen, Rüssel. Vor allem aber: Sie sind echte Typen.

Das Portfolio

»Es gibt viele schöne Fotos von Tieren in der Wildnis. Ich glaube, das entfernt uns eher von ihnen.«

Das Interview

Der Londoner Fotograf Tim Flach, 64, macht Porträts von Tieren, die menschliche Züge und Gesten zu haben scheinen. Seine Intention: bedrohte Tierarten den Menschen näherzubringen. Die Schönheit seiner Aufnahmen trägt dazu bei.

Tim Flach
Tim Flach

Tim, du bist mit deiner Arbeit tief eingetaucht in die Welt der Tiere. Menschen interessieren dich nicht so sehr?

Das würde ich nicht sagen. Ich habe ganz klassisch als People-Fotograf angefangen. Habe Premierminister fotografiert. Auch die Queen.

Das klingt sehr vielversprechend. Das war ja die höchste Liga, oder?

Es waren sehr interessante Begegnungen. Aber ich habe mich mehr und mehr zu Themen rund um die Natur hingezogen gefühlt. Zu Fragen, was mit ihr passiert. 

Diesbezüglich sind die Menschen ja nicht unbedingt die Helden.

Der Planet wurde und wird von den Menschen geformt. Verformt wäre eigentlich der richtigere Begriff.

Zum Leidwesen der Tierwelt.

Ja, die Tiere haben eine schwache Lobby. Sie werden von vielen nicht als gleichwertige Lebewesen angesehen.

Und das willst du mit deinen Arbeiten ändern?

Ich möchte mit meinen Bildern Empathie für diese Lebewesen erzeugen. Aber nicht im Sinne von süß und niedlich. Ich will Verständnis für die Diversität der einzelnen Individuen wecken. Ich möchte zeigen, welchen Reichtum die Tierwelt bietet. Nicht nur, was die Anzahl der Arten angeht.

Sondern?

Ich versuche in meinen Bildern die Persönlichkeit der Tiere zu zeigen, sie als Individuen mit Charakter zu porträtieren.

Das gelingt dir oft atemberaubend gut. Viele deiner Models haben einen fast menschlichen Ausdruck im Gesicht. Man meint zu sehen, was sie gerade denken und fühlen.

Exakt darum geht es mir. Sie sollen nicht als hübsche Exemplare ihrer Gattung gesehen werden. Sondern als Individuen.

Man hört den Unterschied schon in deinen Worten: Exemplare, Individuen.

Genau dieses Bewusstsein, diese Erkenntnis will ich mit meinen Arbeiten erreichen.

Gibt es den Vorwurf, dass diese Art der Fotografie kitschig sei – Tiere gewissermaßen zu vermenschlichen?

Es gibt bestimmt Menschen, die das so sehen. Und immer verschiedene Meinungen. Aber die Tiere sind real. So, wie ich sie zeige.

Du hilfst nicht nach? Zauberst mit Photoshop einem Affen einen erstaunten Blick in die Augen oder einem Panda ein Lächeln ins Gesicht?

No! No! Never!

Es ist nichts manipuliert an deinen Fotos?

Nichts an den Tieren. Um die gewünschte Optik des Fotos zu erhalten, muss ich hin und wieder den Hintergrund nachdunkeln. Aber normalerweise kann ich ihn mit Lichttechnik schwarz erscheinen lassen, auch wenn er es nicht ist. Alles sonst ist, wie es ist. Du musst Respekt haben vor dem, was du fotografierst. Du darfst nicht irgendetwas dazufantasieren.

Es sieht oft zu schön aus, um wahr zu sein.

Danke! Die Tiere sind auch wunderbar!

Nach welchen Kriterien wählst du deine Tiere aus?

Ich konzentriere mich auf bedrohte Arten. Auf die gilt es, besonders zu achten. Und wenn ich mit meinen Fotos dazu beitragen kann, Empathie für diese Tiere zu erzeugen, dann habe ich einiges erreicht.

Wie findest du die einzelnen Exemplare, pardon, Individuen?

Oft in Zoos. Aber auch in der Natur. Niemals im Studio! Kein einziges Foto! 

Hast du Experten, die dich beraten?

Der erste Schritt ist immer: Ich muss Menschen finden, die sich mit der jeweiligen Spezies auskennen. Und dann geht die Suche los. 80 Prozent eines Fotos sind Organisation.

Auch bei Aufnahmen in der Natur lichtest du die Motive meist mit neutralem Hintergrund ab. Abstrakt, ohne ihre natürliche Umgebung. Warum?

Es gibt viele schöne Fotografien von Tieren in der Wildnis. Ich glaube, das entfernt uns eher von ihnen. Sie dort, wir hier. Es sind zwei Welten. Aber wir leben in einer. Deshalb will ich die Tiere als Persönlichkeiten porträtieren. Menschen entwickeln eine viel größere Verbindung zu einem Tier, dessen Charakter sie erkennen. Das merkt man ja bei Menschen und ihren Haustieren. Je größer die emotionale Verbindung zum Tier, desto größer ist die Wertschätzung. Und das erhöht die Achtsamkeit.

Auf jeden Fall erscheinen einem die Tiere sehr nah auf deinen Fotos.

Genau das ist das Ziel. Die Bilder sollen die Fantasie des Betrachters anregen. So entstehen Geschichten im Kopf, die man mit dem Tier verbindet.

Bist du zuversichtlich, dass dir das gelingt?

Ich glaube schon. Ich setze auf die Wirkung der Kunst. Kunst erreicht direkt das Unterbewusste. Sie wirkt unterschwellig. Es gibt in meinen Arbeiten keinen erhobenen Zeigefinger, es wird kein Mitleid mit den Kreaturen geweckt. Das würde eher abstoßen. Man soll sich die Fotos gern immer wieder anschauen. Das halte ich für erheblich nachhaltiger.

Für dein neuestes Buch hast du nur Vögel ausgewählt. Warum?

Vögel haben es auch nicht leicht in unserer Welt. Viele sind bedroht. Ich habe knapp 200 Arten fotografiert, zeige im Buch 120 verschiedene Typen. Das sind wirklich echte Typen! Es gibt mehr als 10 000 Arten weltweit. Noch.

Wo hast du deine gefiederten Typen gefunden?

Ganz in eurer Nähe, in Deutschland. In -einem Vogelpark, es ist der größte Europas, wie hieß er noch gleich …? (Nach dem dritten oder vierten Versuch, den Namen zu nennen, ist zu erraten, dass es sich um den Vogelpark Walsrode handelt, zwischen Hamburg und Hannover. Schwierig für englische Zungen.)

Sind Vögel als Models schwierig?

Besonders einfach zu handeln sind sie nicht. Ein wenig flatterhaft …

Haha …

Für die knapp 200 Bilder habe ich zweieinhalb Jahre gebraucht.

Oh, là, là!

Ich wollte mit meinen Fotos ihre Schönheit feiern. Sie sind wirklich sooo beautiful!

Du arbeitest eng mit einigen Organisationen zusammen, die sich für Naturschutz einsetzen.

Mit dem britischen Whitley Found for Nature bin ich sehr verbunden und mit der United for Wildlife, die Prince William ins Leben gerufen hat. Ich werde oft eingeladen, um Vorträge zu halten.

Ein künstlerischer Lobbyist für Tiere sozusagen.

Den brauchen sie auch. Ich bin 1958 geboren. Damals gab es 2,8 Milliarden Menschen auf der Welt. Heute sind es knapp acht Milliarden. Die Menschen breiten sich immer weiter aus. Die Tiere werden weniger. Dramatisch schnell. Sie brauchen jede Lobby, die sie kriegen können. 

Tim Flach: Vögel.

Tim Flach: Vögel. 

Eine fotografische Liebeserklärung in Porträts. 336 Seiten, 68 Euro. Knesebeck. 

knesebeck-verlag.de
Osborne Samuel Gallery, London.
osbornesamuel.com
timflach.com