»Mode ist höchstwahrscheinlich die bedeutendste Form der Kunst!«
Nick Knight
Nick Knight ist überpünktlich zum Interview erschienen – gut gelaunt und redseelig. Eine Stunde hatte der vielbeschäftigte 65jährige eingeräumt, um über sein Leben und Werk zu sprechen. Dass es länger wird, liegt nicht am Fragesteller. Erstmal im Gespräch, ist Mister Knight schwer zu bremsen.
Nick Knight, Sie sind einer der größten Stars der Modefotografie, ihre Inszenierungen sind einzigartig. Wie und wann haben Sie die Fotografie für sich entdeckt?
An einem Samstag-Nachmittag irgendwann Ende der 70er-Jahre.
Ziemlich präzise. Das wissen Sie noch so genau?
Ja, ich hatte die Kamera von meinem Vater geliehen.
Und was war ihr Ziel?
Weiß ich gar nicht mehr. Vielleicht in erster Linie, mich von meinem Studium zu befreien.
Sie studierten Biologie und wollten später Arzt werden.
Na ja, sollte, würde es wohl eher treffen. Meine Mutter wollte in jungen Jahren selbst Ärztin werden, durfte es aber nicht. Sie wünschte sich wohl, dass ich damit ihre Frustration und Traurigkeit ein wenig kompensieren könnte. Aber ich habe das Studium nicht besonders gemocht.
Dafür das Fotografieren…
Ja! Fotografieren war für mich die Eintrittskarte ins Leben. Es ist eine wunderbare Art, Menschen zu treffen und mit ihnen in Kontakt zu treten und zu kommunizieren. Du gehst auf der Straße einfach auf Menschen zu, hast die Kamera in der Hand und sagst, wie interessant du sie findest und ob du ein Foto machen darfst. Die meisten stimmen zu.
Tatsächlich?
Ja, sie fühlen sich geschmeichelt. Das sind positive Vibrations. Fotografie ist eine Frage der Kommunikation. Fotografie selbst ist Kommunikation. Interaktion.
Haben sie sich das Fotografieren selbst beigebracht?
Es gab damals noch kein Fotografie-Studium oder so was. Auf einem kleinen College in Bornemouth hatte ich einen Kurs. Der war phantastisch. Sehr inspirierend.
Sie hatten ihre Passion gefunden?
Unbedingt! Fotografieren bedeutete für mich, ich konnte jeden Tag machen, was ich liebe. Ich bin da total eingetaucht. Und ich habe niemals die Leidenschaft dafür verloren.
Was ist das Besondere an der Fotografie?
Du interagierst mit der Welt. Du kannst deine Phantasien ausleben. Du kannst Deinen Wünschen und Träumen nachgehen. Es gibt wirklich sehr wenige Berufe, in denen das möglich ist.
Und die Eltern? Waren die nicht enttäuscht?
Sie haben es jedenfalls nicht gezeigt. Sie haben mich immer unterstützt. Vielleicht waren sie manchmal in Sorge, ob ich damit Geld verdienen kann.
Die hat sich ja letztlich als unbegründet herausgestellt…
Das stimmt. Aber am Anfang war das nicht so klar.
Sie haben aber sehr früh sogar schon ein Buch herausgebracht. Die Titel: »Skinheads«. Was hatte es damit auf sich?
Die Skinheads waren Ende der 70er, Anfang der 80er ein ziemlich auffälliger Jugend-Kult. In England sehr speziell. Mir kam vor, sie waren noch strikter als die Punk Rocker. Noch mehr Anti-Establishment. Sie haben alles abgelehnt, was die Eltern gesagt haben. Ich fand sie faszinierend.
Das Buch zeigt zahlreiche Portraits. Wie haben Sie die bekommen? Waren die Skinheads nicht skeptisch?
Ich war selbst ein Skinhead damals. Und ich hatte eine Kamera. So einfach war das.
Das Buch war ein Erfolg?
Es hatte seine Aufmerksamkeit. Es war ein kleines Buch, nicht besonders gut gedruckt, kostete vielleicht 18 Pfund oder so. Aber es wird immer noch gedruckt.
Nicht schlecht!
Die meisten Fotografen denken, sie müssten so ein schweres, übergroßes Buch mit ihrem Werk herausbringen. Das ist ein bisschen narzistisch. Die besten Bücher sind klein und dünn. Dann funktionieren sie auch als Buch.
Wie sind Sie denn aus dieser Szene in die Welt der high fashion vorgestoßen?
Erstmal hat mir das natürlich ein paar Türen verschlossen. Wenn nicht fast alle. Ich habe mich auf die Musikszene konzentriert und einige Plattencover geschossen. Aber ich wollte unbedingt in die Mode!
Warum?
Die Mode ist vielleicht die wichtigste Kunstform von allen. Sie ist so etwas wie die Vorhersage unserer Sehnsüchte.
Auch dank der großen Marktmacht der Top-Labels, oder?
Es geht darum, wie wir aussehen wollen. Jeder von uns. Ja, die Labels erschaffen Wünsche und Sehnsüchte. Aber Mode, egal welche, ist das erste Statement von uns selbst. Niemand kleidet sich rein zufällig. Kleidung ist ein Ausdruck der Persönlichkeit, sie sagt etwas über uns aus. Sie zeichnet ein bleibendes Bild von uns.
Die großen Modemacher hatten es Ihnen angetan. Für einen Skinhead aus dem Anti-Establishment ziemlich erstaunlich.
Die Zeit hatte ich ja hinter mir. Aber die großen Meister, Alexander McQueen, John Galliano, Prada, die haben Visionen erschaffen. Mode empfand und empfinde ich als ein unglaublich aufregendes Medium. Außerdem: Warum soll Malerei besser sein als Mode? Oder Mode-Fotografie. Nehmen Sie Richard Avedon. SNur sehr wenige Menschen würden heute sagen, dass sei keine Kunst. Sie ist längst museumsreif.
Das klingt alles sehr nachvollziehbar. Aber wie kamen Sie an die großen Meister heran? Sie haben die Kampagnen von Comme de Garçons produziert, das Label von Yohji Yamamoto, einem der Superstars in den 80ern.
Er wollte eben nicht die etablierten Namen wie Peter Lindberg. Er beauftragte seinen Art Director Marc Scouly damit, neue, junge Fotografen zu finden. Und der fand mich. Ich habe zwölf Kampagnen für Yamamoto fotografiert.
Was faszinierte Sie an seiner Mode?
Das war damals eine total andere Sprache, andere Formen, Farben, eine andere Kultur. Es war das Gegenteil von Thierry Mugler oder Versace. Es ging nicht um den Körper, es ging um die Person, die die Kleidung trägt. Es war schlicht und superelegant, nachtblau, schwarz. Grandios.
Hatten sie denn bei solchen Aufträgen, die Freiheit, ihre Ideen umzusetzen?
Ich will überhaupt keine Freiheit bei der Arbeit! Mein Ziel ist es, zu verstehen, was der Modemacher will, was er vermitteln will. Ich muss versuchen, das Leben durch seine Augen zu sehen. Ich muss ihm das geben, was ihn thrilled. Nicht mich. Ich darf auf keinen Fall versuchen, mich gegen ihn durchzusetzen.
Bei Ihnen wird Teamwork groß geschrieben?
Oh ja! Jeder ist wichtig, jeder muss sich so gut es geht einbringen. Mit Ideen und Können. Auch die Hair & Make-up-Artists. Gerade auch die! Eine schlechte Frisur ruiniert das Foto oder den Film. Man muss allen, die auf dem Set sind, gut zuhören, dann wird das Ergebnis besser. Ich empfinde es als Privileg, mit diesen Kreativen zusammenarbeiten zu dürfen.
Solche Kampagnen werden ja auch nicht mal an ein, zwei Tagen gemacht. Wie groß ist der Aufwand für solche Produktionen?
Vorbesprechungen und erstes Brainstorming nicht eingerechnet, gehen schon ein paar Wochen für die Planung drauf. Dann kommt das Shooting. Und dann drei Monate post production. Bis alle zufrieden sind. In der Zeit hatte ich keine anderen Auftraggeber. Für mich war es aber eine ganz besondere Zeit. Yohji hat mir erlaubt, in seine Gedankenwelt einzudringen. Seinen besonderen Blick auf die Welt, auf die Gesellschaft zu begreifen. Ein wunderbares Erlebnis.
Das klingt wirklich sehr speziell und sehr aufregend. Ist Ihre andere Leidenschaft, Fotos von ihren Rosen so etwas wie ein Ausgleich?
Das sind ganz private, sehr persönlich Arbeiten. Und auch sehr kontemplativ. Das ist gar nicht vergleichbar. Man sitzt da Stunde um Stunde, schaut die Blumen von allen Seiten an, entdeckt immer wieder neue Facetten. Aber es gibt keine Beziehung wie zu einem Model. Du kannst mit der Blume nicht reden, sie nicht zu irgendetwas anspornen, wie du einem Model sagst, dass sie jetzt mal glücklich schauen soll. Das ist immer eine Reise in Unbekannte. Du weißt nie, ob Du ein gutes Foto bekommst. Aber es ist auf seine Weise auch sehr emotional.
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